New Work

Marketing-Bluff oder Allheilmittel?

Führungskräfteentwicklung: Es knirscht gewaltig im Gebälk. Unsere Arbeitswelt war in den jüngsten Jahren gleich mehreren seismischen Verwerfungen ungekannten Ausmaßes ausgesetzt. Wie kann da das Management sein Unternehmen klug anpassen? Was könnte in Zeiten des radikalen Umbruchs Halt und Orientierung bieten? Eine Analyse aus Sicht von New Work.

Von Jochen Wagner / econo 1.2024

Gleich einem Erdbeben sind Trends und Entwicklungen in dichter Abfolge über eine traditionell eher veränderungsträge deutsche Wirtschaft hereingebrochen. Der Druck dieser Veränderungen hat auch und gerade weitreichende Konsequenzen für die Führungsetagen in nahezu allen Winkeln unserer Ökonomie.

Werfen wir zunächst einen analytischen Blick auf die großen Veränderungen: Technologisch waren bereits lange vor der Corona-Pandemie alle notwendigen Voraussetzungen für das sogenannte Remote-Working gegeben. Allerdings führte erst der Handlungsdruck einiger lange andauernder Lockdowns zu einem überstürzten Sprung ins kalte Becken von Homeoffice und hybriden Arbeitsmodellen. Nach den nunmehr auf recht breiter Front gesammelten Erfahrungen mit dem Telearbeitsmodell treten auch dessen nicht zu bestreitenden Nachteile immer deutlicher in den Fokus. Die Entkoppelung der Tätigkeit vom Arbeitsort ist nämlich bestenfalls unter technischen Aspekten so problemfrei, wie es die Werbung großer IT-Dienstleister glaubenmachen will. Die Adaption sowohl des Führungsmodells als auch der Führungskultur an diese veränderten Organisationsmodelle ist eine enorme Herausforderung.

Und noch während sich viele Entscheidungsträger mit den stark veränderten Anforderungen an ihr Führungsverhalten schwertun, bricht schon die nächste Veränderungswelle über die Unternehmenslandschaft herein: Die sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) ist in kürzester Zeit so zentral in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, dass sich dieser Tage kein Konzernsprecher trauen würde, dieses Thema nicht als ganz oben auf der Prioritätenliste darzustellen. Selbstverständlich birgt diese Technologie neben unbestreitbaren Chancen und Potentialen auch eine Reihe von Risiken und Nebenwirkungen – nur leider hilft hier das Befragen von Arzt oder Apotheker nicht weiter. Unternehmer brauchen heute mehr denn je einen klaren Kompass, Orientierung und Halt, denn zu all den technologiegetriebenen Neuerungen gesellen sich eine beträchtliche Zahl von sich überlagernden Krisen: galoppierende Energiepreise, unzuverlässige Lieferketten, schwankende Inflationstendenzen, hausgemachte Bildungsmisere, demographischer Wandel. Wer soll da noch die Übersicht behalten?

Besonders dann, wenn eine tief verankerte und tatsächlich gelebte, positive Unternehmenskultur als unerschütterliches Fundament in so bewegten Zeiten fehlt, geht sie los, die hektische Suche nach einem hilfreichen Patentrezept. New Work scheint für viele da gerade der richtige Ansatz zu sein – und in der Tat, zahlreiche Aspekte sind tatsächlich geeignet, Wege aus vielen Problemkreisen aufzuzeigen. Tragischer Weise wird New Work jedoch derart massiv von halbwissenden Beratern, zweifelhaften Coaches, Lebenserklärern und sonstigen eilfertigen Helfern als Geschäftsmodell okkupiert und je nach individueller Pässlichkeit interpretiert, dass inzwischen kaum noch jemand klar erkennt, was der Begriff eigentlichmeint und wofür der ganze Ansatz steht. Soviel sei verraten: Mit bunten Rutschen, einem Bällebad für Erwachsene oder dem stereotypen Tischkicker im Büro hat es schon mal nichts zu tun.

Ein Blick in die Geschichtsbücher hilft: Ende der 1970er Jahre befand sich die Automobilindustrie in den USA in einem dramatischen Niedergang. In der Stadt Flint in Michigan beriet der österreichischamerikanische Sozialphilosoph Fritjof Bergmann das Unternehmen General Motors, das sich gerade anschickte, tausende von Fabrikarbeitern zu entlassen; die Nachwehen der Ölkrise und die einsetzende Automatisierung der Produktion forderten ihren Tribut. Bergmanns Idee war es, diese Menschen in eigens geschaffenenZentren für Neue Arbeit eigenverantwortlich das tun zu lassen, was sie wirklich, wirklich wollten. Das sollte einerseits die Existenz dieser Menschen sichern und sie vor einem Dasein in der Arbeitslosigkeit bewahren, andererseits aber auch einen positiven wirtschaftlichen Effekt für das Unternehmen erzielen. Die Grundannahme war, dass Menschen eine Arbeit, die sie wirklich wollen und der sie nach eigener Ausgestaltung nachgehen können, nicht mehr als Belastung, sondern als eine Art Selbstverwirklichung empfinden, die ihnen Sinn stiftet und zu einer ganz neuen Dimension von Produktivität führt.

„Unternehmer brauchen
heute mehr denn je einen klaren Kompass, Orientierung und Halt.“

New Work in der Konzeption von Bergmann ist also sehr stark von Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn und sozialer Verantwortung getragen. Und es ist auch alles andere als neu, sondern gut ein halbes Jahrhundert alt. Lassen wir uns das einmal auf der Zunge zergehen: Freiheit gewähren, Entscheidungskompetenz übertragen, individuelle Sinnstiftung durch Arbeit – für viele traditionell aufgestellte und organisierte Betriebe sind dies geradezu revolutionäre Ansätze, die sich anschicken, die bisherige Systematik aus hierarchischer Zielvorgabe und engmaschiger Kontrolle zu verdrängen. Eine Zumutung. Oder eben doch der Schlüssel zu glücklichen, hochperformanten Mitarbeitern, die loyal und emotional tief verbunden für das Unternehmen arbeiten und so dauerhaft seinen Erfolg sicherstellen?

Niemand wird in Abrede stellen, dass es auf die drängenden Probleme vieler Unternehmen schlüssige Antworten braucht. Der künftige Erfolg wird maßgeblich davon abhängen, wie es gelingt, möglichst die besten verfügbaren Talente ins Unternehmen zu bekommen und die dort bereits vorhandenen gleichzeitig zu halten. In Zeiten immer knapper werdender Personalressourcen kann der Blick nur darauf fokussiert werden, was es zwingend braucht, um Menschen für ein Unternehmen zu begeistern. Und hier können wir eines klar feststellen: starre Vorgaben, Kontrolle und Reportingdruck sind völlig ungeeignet, um einen Attraktivitätspunkt
zu setzen.

Wie aber sollen sie denn konkret aussehen, die zu gewährenden Freiheiten? Wir stellen immer wieder fest, dass es mindestens drei Faktoren braucht: Kultur, Raum und Technologie. Freiheit im Tun kann nur ausgelebt werden, wenn der oder die Arbeitsorte eine freie und agile Bespielung nach den Erfordernissen der gerade anstehenden Aufgabe erlauben. Ein fokussiertes Eintauchen in eine Aufgabe wird im lebhaften Gruppenbüro ebenso schlecht gelingen wie ein hoch kommunikativer Austausch im stillen Einzelbüro. Die räumlichen Rahmenbedingungen von Arbeit sind ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor.

Die agile Arbeitsorganisation ist überdies von zeitgemäßer Technologie und einem hohen Digitalisierungsgrad abhängig. Die eigenverantwortliche Wahl der jeweils idealen Arbeitsumgebung darf nicht daran scheitern, dass die benötigten Unterlagen noch im zentralen Aktenschrank lagern oder die IT auf fest verkabelte Rechner setzt, die somit starr an Schreibtische angebunden sind. Und am Ende nützen beste Raumstrukturen und modernste Technik überhaupt nichts, wenn deren freiheitliche Nutzung mit Argwohn beäugt wird, weil die Unternehmenskultur auf solche eigenmächtigen „Frechheiten“ der Mitarbeiter nicht eingestellt ist.

Jedoch: New Work ist sicher nicht als Freibrief an die Belegschaft zu verstehen, jeden auch noch so überzogenen persönlichen Vorteil ohne Wenn und Aber widerspruchslos durchzusetzen. Die Freiheit des Einzelnen, das sollte bekannt sein, endet dort, wo sie die Freiheit des Anderen tangiert. Es ist also mitnichten so, dass New Work ohne klar formulierte Spielregeln und Leitplanken funktionieren würde. Leider wird in der medialen Berichterstattung allzu gerne das unzutreffende Bild aufgebaut, die Idee von New Work sei die Verwandlung eines Unternehmens in eine basisdemokratische Wünsch-Dir-Was-Gruppe.

Die Ansätze von New Work sind gerade unter dem Aspekt der Mitarbeiterzentrierung sehr wohl geeignet, Unternehmen deutlich attraktiver aufzustellen. Das kann aber nur gelingen, wenn Führungspersonen Willens und in der Lage sind, ein vertrauensbasiertes Arbeiten zu etablieren und kulturell zu verankern – fraglos eine enorme Herausforderung für Unternehmer, Entscheider und Manager, die in erster Linie sich selbst transformieren müssen, damit die Transformation im Ganzen gelingen kann. Sich dieser Aufgabe nicht ehrlich zu stellen, dürfte sich für viele schon in naher Zukunft als existenzbedrohende Fehlentscheidung erweisen.

New Work ist keine hochkomplexe Wissenschaft, sondern in erster Linie eine Haltung. Es lohnt sich, sich mit diesem hoch interessanten Ansatz im Angesicht allgegenwärtiger wirtschaftlicher Risiken und Problemlagen zu beschäftigen. Das Konzept New Work hat eine passgenaue Adaption auf die heutige Wirtschaftslandschaft fraglos verdient, denn es hat das enorme Potential, schlüssige Antworten auf immer drängendere Fragen zu liefern.

Artikel Download (PDF)

Weitere News

Alle News